Guter Unterricht

(bezogen auf unseren Gegenstand, die Kunst) = kunstgemäßer Unterricht
(Was aber ist „kunstgemäß”?)

(11./13.11.1991, überarbeitet am 02.05.1992)

Guter Unterricht hat etwas von Unnachahmlichem, Unverwechselbarem, Eigenständigem, das sich schwer beschreiben läßt. Rezepte jedenfalls sind nicht dafür zu haben! Leichter fällt es zu sagen, was guter Unterricht nicht ist. Zum Beispiel ein Unterricht, in dem der Schüler nicht zum „Mitwisser der Intentionen des Lehrers“ wird, (1) ist kaum als guter Unterricht zu werten. Auch wo nicht über den Tellerrand des eigenen Faches hinausgeschaut wird auf die Vieldimensionalität der Schul- und Lebenswirklichkeit – die zeitgenössische Kunst eingeschlossen – kann sicher nicht von gutem Unterricht gesprochen werden.

Was verbindet sich für mich noch mit der Vorstellung von gutem Unterricht? Kein Mittelmaß, versteht sich. Aufs Hier und Heute reagieren. Nicht: Ich weiß es, ich kann es! Toleranz gegenüber eigenständiger Haltung, Meinung und Leistung anderer, sofern es denn solche sind. Das Risiko möglichen Scheiterns nicht scheuen! Klischeedenken aller Couleur abbauen helfen! Ein produktives Verhältnis von Bewußtem und Unbewußtem ermöglichen. (2) Das schließt ein die Relationen von Absicht und Zufall, Planung und Spontaneität. Auch im Verhältnis von Prozeß und Ergebnis ist keinerlei Verabsolutierung zuzulassen.

Natürlich soll/muß guter Unterricht (auch) Spaß machen, wenngleich sein Unterhaltungswert für Schüler heute – in hoffnungsloser Konkurrenz zu den Medien (!) – im allgemeinen bescheiden ausfallen dürfte.
Wichtig noch für den, der künstlerische bzw. kunstpädagogische Prozesse in Gang zu setzen, steuernd zu begleiten und schließlich auch zu beurteilen hat:
Eigene Individualität (Präferenzen wie Aversionen) nicht verleugnen oder schamhaft kaschieren. Subjektive Grenzen eingestehen, aber sie auch zu erweitern trachten. Objektivität des Urteils, soweit eben möglich, anstreben, im Wissen um oben genannte Grenzen und bei Nachvollziehbarkeit zugrundegelegter Kriterien und – vor allem – mit „immanenter Kritik“ (3) Und im übrigen und in Analogie zu dem, was jemand von Kunst sagte: Guter Unterricht ist, was gute Kunsterzieher machen!

1) Gunter Otto: Kunst als Prozeß im Unterricht. Braunschweig 1964.
2) vgl. T. S. Eliot, Ausgewählte Aufsätze, Vorträge und Essays, Berlin 1982, S.46; siehe auch Arnold Hauser: Soziologie der Kunst. München 1983. S. 422 und 428 ff.
3) vgl. Friedrich Dürrenmatt, in: Josef-Hermann Sauter: Interviews mit Schriftstellern. Leipzig/Weimar 1982, S. 65; vgl. auch Franz Fühmann: Essays, Gespräche, Aufsätze 1964–1981. Rostock 1983, S.13 ff.

Veröffentlicht in Roland R. Richter: NOTATE, Reden, Vorträge, Aufsätze, Briefe, 1988–1998, hrsg. am Institut für Kunstpädagogik der Universität Leipzig, 1999