Kunstpädagogik – eine contradictio in adjecto?
Zum Selbstverständnis eines Berufsstandes und seinem Dilemma
Veröffentlicht in: Perspektiven der künstlerisch-ästhetischen Erziehung, Texte zum Leipziger Kolloquium 1996, anlässlich des 70. Geburtstages von Günther Regel, Erhard Friedrich Verlag Velber 1996, S.55-59
„Es ist die Zeit des schwankenden Bodens unter unseren Füßen, der katastrophal „kollabierenden Umwelt“ (E. U. von Weizäcker), der aufbrechenden Konflikte, der Auflösung fester Ordnung, des Zusammenpralls der Meinungen, des permanenten Wechsels der Standpunkte, des hemmungslosen Sich- Auslebens, der Euphorie wie der Depression, der großen Enttäuschung nach großer Hoffnung und Erwartung.
Es ist die Zeit der großen Mißverständnisse, der Aneinandervorbeiredens, des Nicht- mehr zuhören- Könnens, der atemlosen Jagd nach unentwegtem Sinnesrausch, der Invasion des Wortgeklingels wie der Bildüberflut, des Erlebnishungers und der Abstumpfung der Sinne, der „Übertäubung des Sterbenmüssens“ (Sloterdijk)
Es ist die Zeit überbordender Informationsschwemme, des bislang unbekannten Bombardements künstlicher Bildwelten, des Medienrauschs in Cyberspace und virtuell realtiy.
Es ist die Zeit der „neuen Unübersichtlichkeit“ (Habermas), der Ratlosigkeit, des hilflosen Haltsuchens, des Utopieverlustes wie des Werteverfalls.
Und es ist die Zeit der Gesundbeter und Scharlatane, der Rattenfänger und Fundamentalisten, der Scharfmacher und Ellenbogenkämpfer, der Stehaufmännchen und der „Untergeher“ (Bernhardt), der Nivellierer und Verdrängungsartisten, der Nostalgiker und Ignoranten.
Es ist die Zeit des Überflusses der Reichen und der unermeßlichen Not der Armen, der grenzenlosen Verschwendungssucht und der rigorosen Sparmaßnahmen.
Eine erregende, auf- regende, aufreibende, anstrengende und zermürbende Zeit. Aber – noch ist Zeit!
(Notat des Autors vom 5.11.1994)
Kontroversen – ohne Grundkonsens ?
Stichworte zu solcher Befindlichkeit – bereits vor längerer Zeit notiert – fallen mir wieder ein, wenn ich hier und heute von neuem über Perspektiven künstlerisch-ästhetischer Erziehung, namentlich der Kunstpädagogik nachzudenken habe. und dabei relativiert sich schon vieles der so aufgeregt daherkommenden Diskussion sogenannter Insider um die Zukunft einer Disziplin, mit der es – nach Günther Regel – offensichtlich nicht zum besten steht. ( vgl. REGEL, 1995, S.2 )
In solcher Situation sollte man eigentlich Solidarität der betroffenen Fachleute erwarten dürfen, wenn es um fundierte Aussagen zum stellenwert, zum Zustand wie zur Prognose einer Bildungsinstitution geht, deren soziokulturelle Bedeutung mehr und mehr zu schwinden scheint, und das, obschon sie sich von jeher an den Rand gedrängt sah.
Da befehden sich „Fachautoritäten“ in vehementer Kontroverse und reden dabei (getrieben von Profilneurose oder sonst was ?) – nicht sich – sondern zu guter Letzt noch das Fach um Kopf und Kragen. Ich vermisse hier – bei aller Liebe zu echtem Meinungsstreit – das notwendige, aber scheinbar aus der Mode kommende Mindestmaß an Objektivität einer sachlichen Auseinandersetzung.
Selbstredend ist kein Autor vor Mißverständnissen geschützt. Aber wenn man zunehmend den Eindruck gewinnt, daß kaum noch einer bereit ist zu sorgsam abwägender Formulierung und also zur „Anstrengung des Begriffs“ (HEGEL), daß nur noch die auf Affront zielende Provokation zählt, ja daß man in egomanischer Verblendung auch vor fast bösartiger Unterstellung nicht zurückschreckt ( dem Kontrahenten Unvermögen und/oder Unkenntnis zu bescheinigen ist noch das mindeste !), dann darf man sich eigentlich auch nicht wundern, daß auch keiner mehr bereit ist, mal wieder ordentlich zuzuhören, was der andere sagt. In solchem Klima, scheint mir, ist allgemeines gegenseitiges Missverstehen mit Sicherheit vorprogrammiert !
Dabei sollte es doch unter zivilisierten Leuten möglich sein, in der Sache hart zu polemisieren, ohne gleich verbale Tiefschläge auszuteilen und persönlich zu verletzen.
Hat nicht jeder von uns auch eine gewisse Sorgfaltspflicht, weniger gegenüber seinem Berufsstand als vielmehr gegenüber dem Fach selbst ? Was soll aus diesem werden, wenn wir uns weiter derart zerfleischen und auf die schäbigen Reste sich – wie Hyänen – all jene genüßlich stürzen, denen Kunst in der Schule schon immer ein Dorn im Auge war ?
(Aus einem Brief des Autors an die Redaktion von KUNST+UNTERRICHT vom 20.11.1995)
Aber vielleicht bin ich ja auch nur zu empfindlich und für derlei Schlagabtausch nicht dickfellig genug. Wie auch immer: In der Sache selbst, nämlich dem theoretischen Selbstverständnis unseres Faches, das heißt in der Frage, wie sein gesellschaftlicher Stellenwert, sein Anspruch, seine Wirkungspotenz zu definieren sei, kommen wir keinen Schritt weiter, wenn es nicht gelingt, wenigstens unter den namhaften Protagonisten und nicht zuletzt auch bei einem Großteil des „Fußvolkes“ eine bestimmte Art von Konsens darüber herzustellen, was dieses Fach Kunsterziehung – oder wie immer man es nennen mag – auf so spezifische Weise auszeichnet und von daher unverzichtbar, unersetzbar erscheinen läßt. (Vgl. SELLE, 1990, S.18)
Ganz gleich, welche schulpolitischen Konsequenzen, curricularen Modalitäten und didaktisch-methodischen Verfahren wir im Auge haben, immer wird der Erfolg kunstpädagogischer Bemühung, die diesen Namen wirklich verdient, ganz davon abhängen, wie wir zu dieser Grundfrage stehen, ob wir eigenständig eine überzeugende Antwort darauf zu finden vermögen und dabei das notwendige Maß an Fachkompetenz beweisen oder aber, nur fremde Standpunkte in dieser Grundfrage an- bzw. nachbetend, uns bloß auf sogenannte Autoritäten verlassen. Wie man merkt, insistiere ich auf Subjektivität des Kunstpädagogen, seine subjektive Verantwortung eingeschlossen !
Allerdings: Das merkwürdige Zwitterdasein als Grenzgänger zwischen Kunstvermittlung und eigener Produktion, zwischen wissenschaftlicher Theorie und künstlerischer Praxis und – nicht zuletzt – zwischen ganz unterschiedlichen Unterrichtsfächern, wie sie die Schulwirklichkeit vorschreibt, macht es dem Kunstpädagogen nicht eben leicht, solche Verantwortung wahrzunehmen und souverän Position zu beziehen.
Das Spektrum der Bezugsfelder ist viel zu breit, als daß der einzelne überall gleichermaßen sicher Fuß fassen und sich mit voller Überzeugung eine eigen Meinung bilden könnte.
Selbst wer sich in den Bleiwüstendes theoretischen Disputs um wichtig erscheinende Kategorien der jüngsten Fachdiskussion zurechtfindet und etwa ganz auf „ästhetische Rationalität“ (GUNTER OTTO) setzt, kann kaum auf letzte Klarheit und Sicherheit in oben genannten Grundfragen hoffen.
Aber auch wer ins Gegenteil verfällt, die Theorie Theorie sein lässt und eher, dem eigenen kreativen Impuls folgend und aller Entscheidungshilfe von anderer Seite a priori misstrauend, allein auf sich gestellt, gewissermaßen aus seinem „ästhetischen Zustand“, einer „intensivierten Seinsbefindlichkeit“ (GERT SELLE) heraus, die alles entscheidende Orientierung zu finden glaubt, wird auf Dauer seiner kunstpädagogischen Verantwortung nicht gerecht werden können.
Durchdenkt man die hier nur im Ansatz aufgezeigte Problematik weiter, dann wird einem das Dilemma, mit dem es unser Berufsstand nicht erst seit heute zu tun hat, auf erschreckende Weise bewußt. Denn in der Tat – und hier muß ich Gert Selle recht geben – „Kunstpädagogik ist der prekäre Versuch zur Verklammerung des an sich Unvereinbaren.“ (SELLE 1995, S.19)
Kunst-Pädagogik in Wirklichkeit also der exemplarische Fall einer contradictio in adjecto !?
Wie viel auch immer richtig sein mag an solch zugespitztem Resümee der hohen Theorie und wie sehr sie auch das „Geschäft“ entsprechender Lehrstuhlinhaber – übrigens ganz risikolos, wie Selle gelegentlich selbst einräumt – zu beleben verspricht, man möge sich bitte ab und an vorstellen, wie dies vom sprichwörtlichen Kleinen Mann aufgenommen werden muß, der in den Niederungen der Praxis Tag für Tag mit der Vergeblichkeit seines Tuns konfrontiert wird, das heißt mit einem im Grunde „unauflösbaren Widerspruch“ (SELLE) fertig zu werden hat !
Eine weitschweifige und bisweilen hochgestochene, mitunter auch schwammige Argumentation pro und contra bestimmte zentrale Fachbegriffe jedenfalls wird ihn im allgemeinen dabei nicht sehr weiterhelfen können. Im besten Falle noch kann sie das Bewusstsein für die Komplexität und Vieldimensionalität unseres Faches schärfen und von daher den einen oder anderen Denkansatz zur notwendigen Erneuerung des Kunstunterrichts bewirken.
Aufs Ganze gesehen jedoch, glaube ich, befördert solch theoretischer Schlagabtausch – im Kontext mit allen vorn genannten Befindlichkeiten in unserer Zeit – nurmehr das allgemeine Gefühl von weiterer Verunsicherung. Denn so heilsam frustriertes In-Frage-Stellen von gesichert geglaubten Grundpositionen, von Avantgarde und Moderne par excellence praktiziert, in fest etablierten Gesellschaften auch sein mochte, hier und heute, wo nichts mehr selbstverständlich ist, schon gar nicht die Kunst (man denke an ADORNO), könnte weiteres selbstzerstörerisches Bohren an den Grundfesten unseres Selbstverständnisses leicht zum totalen Out für uns selbst führen.
Ich insistiere deshalb mehr auf eine Suche nach konsensfähigen Aussagen, die das Selbstbewußtsein – wenn man will – auch das Berufsethos unserer Leute vom Fach zu stärken imstande wären, ohne blauäugig und weltfremd dabei eine Art kunstpädagogisches Universalethos im Auge zu haben, was einfach Unsinn wäre, denn „entweder treibt die beständige sittliche Überforderung den Menschen in die Neurose, oder der Mensch gewöhnt sich daran, das Universalethos nicht ernst zu nehmen“. (HANS MOHR 1971,S.12)
Vieles von dem, was man heute an grundsätzlichen Überlegungen zur Kunstpädagogik liest, scheint nämlich auf solche Maximalforderungen an unseren Berufsstand hinauszulaufen und setzt im Grunde den idealen Übermenschen voraus, der alles souverän beherrscht, was von unserem Fach überhaupt nur tangiert werden kann.
Daß diese überzogene Wunschvorstellung vom Kunsterzieher als „Weltverbesserer“, vom Kunstunterricht als Allheilmittel gegen alle Übel dieser Zeit, geboren wohl aus dem Überkompensieren eines notorischen Minderwertigkeitskomplexes anderen Lehrfächern gegenüber, erklärlich ist, macht sie als realisierbares Leitziel nicht glaubhafter. Im Gegenteil. Angesichts der Konditionen heutiger Schulpraxis läuft man damit nur Gefahr, sich im höchsten Maße lächerlich zu machen. Und wenn ich nicht sehr irre, sind wir schon eine ganze Weile dabei !
Mit anderen Worten: Alle Theorie zu den brennend aktuellen Existenzfragen unseres Faches verkommen im letzten jedenfalls zur bloßen Spiegelfechterei, wenn sie am konkreten Bedingungsgefüge vorbeigehen, in dem sie schließlich realisiert werden sollen und sich zu bewähren haben.
Und von einer wesentlich und – wie mir scheint – allzu oft unberücksichtigt bleibenden Seite eben dieses Zusammenhangs soll daher im folgenden die Rede sein.
Der Kunstvermittler als Künstler ?
Wer also über Perspektiven künstlerisch-ästhetischer Erziehung nachdenkt, muß wohl oder übel auch darüber reflektieren, welche Rolle dabei dem zukommt, der Prozesse dieser Art verantwortlich zu leiten und zu begleiten hat. Wenn hier Kunstpädagogik im engeren Sinne gemeint ist, so ist dies in aller Regel ein Lehrer mit einer abgeschlossenen künstlerisch-praktischen Ausbildung, die jener an Kunsthochschule zumindest nicht unähnlich, wenn nicht sogar mit ihr identisch ist. Folglich könnte sich der Kunsterzieher mit Fug und Recht auch als Künstler verstehen. Und wenn – nach BEUYS – jeder ein Künstler ist, warum sollte dann gerade der Kunsterzieher keiner sein ?
Dabei weiß in Fachkreisen eigentlich jeder einigermaßen Informierte, daß solchem Anspruch wenigstens seitens der Profi-Kollegen meist nur mit einem mitleidigen Lächeln, wenn nicht gar verächtlichem Achselzucken begegnet wird.
Mir war dieser pauschale Vorbehalt gegen einen ganzen Berufsstand immer als etwas – gelinde gesagt – hochnäsig-arrogant vorgekommen, wenn ich auch nachvollziehen kann, wie solcherart Aversion motiviert ist: Es gibt genügend Beispiele von Leuten unseres Metiers, die trotz abgeschlossenen Studiums, aber ausgestattet mit wenig Talent und Charakter – die Sekurität einer festen Anstellung den Unsicherheiten eines „freien“ Berufs vorziehen, ohne damit den Anspruch auf öffentliche Auftritte als Künstler aufzugeben. Man versteht ganz gut, daß solche Ambitionen all jenen ein ausgesprochenes Ärgernis sind, die ihre eigene Künstlerexistenz oft genug nur mit äußerster Anstrengung auf dem mit harten Bandagen kämpfenden Kunstmarkt zu behaupten vermögen und dabei – vor allem wenn sie weder willens noch fähig sind, den jeweils modischen Trends zu folgen – nicht selten mehr als ihren Ruf riskieren.
Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt, der jenes tiefe Misstrauen, die Aversion gegen sogenannte Kunsterzieher-Kunst nicht so gänzlich unberechtigt erscheinen läßt. Und hier berühre ich sicher ein grundlegendes Problem der eigenen künstlerischen Praxis von Kunstlehrern überhaupt, das ja in der Ausbildung unserer Fachkollegen eigentlich bereits angelegt, ja vorprogrammiert scheint.
Wer die Modalitäten dieses Studiums genauer kennt und sich erinnert an eigene ungute Erfahrungen, weiß um seine Zersplitterung und die damit verbundenen Gefahren des Sich-Verzettelns: Alles erscheint nur oberflächlich gestreift, notwendiger Tiefgang findet nicht statt. Ein Sich-Versenken in ein bestimmtes Problem, ohne das künstlerische Arbeit wohl grundsätzlich unmöglich sein dürfte, bleibt aus. So kann auch die eigene künstlerische Identität nicht wirklich gefunden werden.
Vieles an gut gemeinter Anstrengung landet dann, vor allem wenn die führende Hand des erfahrenen Mentors einmal fehlt oder der abgesicherte Rahmen einer konkreten Aufgabenstellung verlassen wird, mehr oder weniger bei einem Dilettantismus im schlechten Sinne.
Und noch eine Beobachtung in diesem Zusammenhang:
Befriedigung wird häufig in der Perfektion äußerlich-technischer Manipulation (Handwerkelei !) und formalem Regelkram gesucht – und was das Schrecklichste ist – auch gefunden. Dazu kommen an Mittelmaß und Provinzialität wie an falschen Leitbildern und starren Dogmen orientierte Qualitätsvorstellungen.
( Der Autor hat gerade über diese Frage lange Jahre nachgedacht und weiß, wovon er spricht, auch um die subjektiv wie objektiv bedingten Aporien, mit denen jeder ernsthafte Lösungsversuch sich konfrontiert sieht )
Das pflegt sich – verbunden mit der notorischen Rechthaberei und Hybris von Lehrern, die an Hochschulen nicht ausgenommen – verheerend auf jede künstlerisch-ästhetische Praxis und ihre freie Entfaltung an den Schulen auszuwirken.
Und doch – hier bin ich mit GÜNTHER REGEL einig – ist und bleibt es für den Kunsterzieher die “zentrale Herausforderung seines Berufes, Künstler und Kunstpädagoge zugleich“ zu sein. (REGEL, 1996, S.9). Schließlich haben etliche Künstler von Rang bewiesen, daß es nicht zwingend zu einem ausweglosen Dilemma führen muß, beides sinnvoll miteinander zu verbinden. Ich denke dabei nicht nur an namhafte Persönlichkeiten wie PAUL KLEE, JOSEF ALBERS, GEORG TAPPERT, und , nicht zuletzt JOSEPH BEUYS oder jene aus eigenem Erleben in guter Erinnerung bleibenden verdienstvollen Hochschullehrer wie HERBERT WEGEHAUPT, und HANS SCHULZE, JOHANNES GECELLI und HEINZ BUTZ.
Es muß hier auch an jene nicht geringe Zahl von engagierten Kunsterziehern gedacht werden, die neben allen, weiß Gott, nicht geringen Belastungen ihres Berufs, Belastungen, die im allgemeinen Bewusstsein viel zu wenig bekannt sind, ein beachtliches Maß künstlerischer Aktivität entfalten, von denen man sich nur wünschte, daß mehr davon das Licht der Öffentlichkeit erblickt und damit die verdiente Würdigung und Anerkennung erfährt. Aber natürlich gleichermaßen eine entsprechend fundierte Kritik. Beides nämlich ist vonnöten, schon um jenem selbstgenügsamen „Schmoren im eigenen Saft“ zu entgehen, kräftige Impulse zum Weitermachen zu bekommen und so sich des eigenen künstlerischen Standorts mit seinen unverwechselbar subjektiven Grenzen wie Möglichkeiten besser zu vergewissern, sich einem klarer definierten Selbstverständnis zu nähern, als Künstler wie als Kunstpädagoge.
Aber, leider muß ich das hier sagen, der Normalfall ist das nicht. In aller Regel kommt es ja erst gar nicht dazu, daß solche Ambitionen, mögen sie anfangs noch so interessant erscheinen, beibehalten oder gar ausgebaut werden. Denn die einst im Studium erworbene Befähigung zu eigenem künstlerischen Tun – von jeher integrierender Bestandteil der Ausbildung von Kunstpädagogen – versandet gewöhnlich im Geschäft der täglichen Unterweisung anderer.
Aber nicht nur das: Mit dem Versiegen eigener bildnerischer Produktivität läuft auch die Arbeit des Kunsterziehers mit dem so nötigen Theoriewissen Gefahr, zu einem sterilen Schematismus zu verkommen mit all den möglichen Verabsolutierungen und Borniertheiten, die für kunstgemäßen Unterricht so verhängnisvoll sind.
Nicht zuletzt deshalb erscheint es gerechtfertigt, mit Nachdruck vom Kunsterzieher zu verlangen, seine einstige Potenz zu künstlerischer Produktion nicht verkümmern zu lassen, ja, sie auszubauen und stetig weiterzuentwickeln. Das ist nicht in allererster Linie eine Frage des zeitlichen Aufwands, wie mancher vermutet, oder anderer ähnlicher quantitativer Aspekte, sondern vor allem der Intensität künstlerischen Erlebens, Denkens und Tuns.
Auf Qualität in diesem Sinne kommt es an, nicht darauf, wie viel man auf dem weiten Feld der Kunst schon selbst beackert und wie „geschickt“ (!?) man sich dabei auch immer angestellt haben mag.
Und da sich dieses Feld heute mehr denn je ins Uferlose auszudehnen scheint, sichere Orientierungspunkte – von unten zumindest – schwer auszumachen sind und man daher gern beim einmal eingeschlagenen Weg bleibt, sei er nun ein Trampelpfad oder aber ein Highway, sei mir zum Schluß noch gestattet, auf ein paar mögliche Sackgassen zu verweisen, deren Ausweglosigkeit nicht unbedingt von jedem einzelnen erkundet werden muß.
Zunächst will ich etwas zum sogenannten Naturstudium sagen, einem Bemühen also, das früher als obligatorisches Bewährungsfeld zeichnerischen Könnens schlechthin galt, heute aber leider mehr und mehr verzichtbar, eher noch suspekt geworden scheint. Nach meiner Überzeugung jedenfalls entspricht solche generelle Abwertung des Naturstudiums einer unberechtigten Fehleinschätzung, die in mancherlei Mißverständnissen gründet.
Denn was heißt Naturstudium heute ? Naturstudium heute kann doch nur heißen, tiefer in die Welt des Sichtbaren, des Spür- und Fühlbaren um uns herum einzudringen, um unsere internen Klischees, unsere erstarrten Bilder von der äußeren Oberfläche der Dinge aufzubrechen und gleichzeitig damit unser ganzes Weltbild zu öffnen, für die durch intensives sinnliches Erleben von dort kommenden Impulse, um es auf solche Weise anzureichern und produktiv zu befruchten.
Das schließt aus sämtliche tradierte Methoden eines stupiden Abbildungs-perfektionismus akademischer Provenienz, der gewöhnlich mit unerträglichem Drill daherkommt. Das Mühsame des Vorgangs sieht man den Produkten in der Regel dann ja auch an! Überhaupt ist alles Streben nach äußerlicher Perfektion schon im Ansatz verheerend !
Das war gewiß nicht immer und von jeher so. Zu Zeiten, als das visuelle Abtasten der Erscheinung noch ein ganz neues, ungewohntes Abenteuer war (Renaissance) mit ungewissem Ausgang, da war der Vorgang selbst noch von so viel Überraschung und subjektiver Entdeckerfreude geprägt, daß die Sehnsucht nach Vollkommenheit der Abbildung sich nicht derart negativ auswirken konnte, wie heute, wo wir von früh bis spät in einer Flut mechanisch hergestellter und genormter Bilder zu versinken drohen, die – ob elektronisch oder fotografisch entstanden – jeweils ein immer perfekteres Abbild der Erscheinung vermitteln.
In solcher Konkurrenz mit traditionellen Mitteln bestehen zu wollen, nur um etwas ganz Ähnliches zu erreichen, kann nur als ein sinnloses, überflüssiges und in höchstem Maße albernes Unterfangen bezeichnet werden. und trotzdem ist es, wie manch anderer Unsinn, bis heute nicht ausgestorben.
Gleiches gilt für ein heute leider allzu oft zu bemerkendes gegenläufiges Extrem, auf das ich den kritischen Blick lenken möchte: Gemeint ist jenes leichtfertige, weil unreflektierte Hantieren mit Versatzstücken der sogenannten Moderne, die heute manch einer wohl als eine Art Ersatzteillager betrachten mag, indem er nach Belieben mal das eine, mal das andere daraus hervorzieht, um so – in Ermangelung eigener Potenz – schließlich nur ein stil-und charakterloses Konglomerat ohne jeden künstlerischen Wert zustand zu bringen. Eine typische postmoderne Haltung, wie sie etwa Sandro Bocola beschreibt (BOCOLA 1994, S.538 ff). Dies wird besonders unangenehm und peinlich, wenn solcherlei Machwerke, hohen Anspruch heischend, auch äußerlich maßlos aufgebläht daherkommen, gewissermaßen dem modischen Trend zur sogenannten „Überwältigungsästhetik“ folgend.
Natürlich ist es für den Vermittler zeitgenössischer Kunst verführerisch und völlig legitim, die eine oder andere ihrer vielen Varianten auch selbst einmal auszuprobieren. Und ganz sicher werden dabei mitunter autonome Gebilde von eigenem ästhetischen Reiz entstehen können. Nur sollten solche „Treffer“ in ihrem künstlerischen Rang nicht überbewertet, sondern als das beurteilt werden, was sie wirklich sind, nämlich Untersuchungen.
Solche Versuche sind außerordentlich wichtig, ja unverzichtbar, will der Kunstvermittler herausfinden, wo er auch als Künstler ein eigenständiges Profil entwickeln kann. Bleiben sie jedoch nur sporadische Einzelfälle, ordnen sie sich nicht einem längerfristigen Suchprozeß unter, um den eigen künstlerischen Weg zu entdecken, dann erhöhen sie eher alle Gefahren des oben schon genannten Sich-Verzettelns, zumal wenn Oberflächlichkeit und Beliebigkeit im Spiel sind.
Um nicht falsch verstanden zu werden: All das spricht nicht gegen das offene bildnerische Experiment, das – immer verbunden mit dem Risiko möglichen Scheiterns – zu kreativem Verhalten geradezu herausfordert. Denn hier wird der Umgang mit dem Unvorhersehbaren, dem Ungeplanten, dem Zufall also, trainiert.
Solches Kreativitätstraining schützt vor ängstlichem Verharren auf eingefahrenen Gleisen, bewahrt den Gestaltungsprozeß und seine Resultate vor Uniformität und äußerer Glätte, wie sie einem heute so oft begegnet.
Wo auch immer sich der Kunstpädagoge in seiner eigenen Kunstpraxis etabliert, ganz gleich, ob er die Nähe zur zeitgenössischen Kunst sucht oder ob er sich mehr guter, bewährter Tradition verpflichtet weiß, er wird weder seinem Auftrag als Kunstvermittler noch seinem selbstgestellten Anspruch als Künstler voll gerecht werden können, wenn er sich gerade diese Offenheit nicht erhält, so anstrengend dies auch sein mag.
Ohne diese Grundvoraussetzung bliebe im übrigen wohl auch das beste Theoriekonzept zu einer wirklichen Erneuerung unseres Faches tatsächlich chancenlos.
Literatur BOCOLA, Sandro: Die Kunst der Moderne. Zur Struktur und Dynamik ihrer Entwicklung. Von Goya bis Beuys. München/New York 1994 MOHR, Hans: Über die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Kultur unserer Zeit. In: Nova acta Leopoldina. Nr. 209, Bd. 37/2. Halle 1971, S. 5 -16 REGEL, Günther: Die Welt von morgen und die Kunst. Herausforderungen für die Erneuerung von Schule und künstlerisch-ästhetischer Erziehung. BDK- Mitteilungen (Sonderdruck), 1995, 1 REGEL, Günther: Künstlerisches Erleben ist nicht alles, aber es ist der Dreh- und Angelpunkt im Kunstprozeß. Ein Gespräch mit Günther Regel anlässlich seines 70. Geburtstages. Bund Deutscher Kunsterzieher e.V. – Landesverband Sachsen – Sonderdruck 1996 SELLE, Gert: Der Kunstpädagoge als „Sinnstifter“. BDK- Mitteilungen, 1990, 2, S.18 – 20 SELLE, Gert: Kunstpädagogik jenseits ästhetischer Rationalität. KUNST+UNTERRICHT, 1995, 192, S. 16 - 20