Begleittext zur DVD für den Filmabend am 12.11.2009 in der Moritzbastei

Die L.E.COLLAGE genannte Zusammenstellung von 7 Filmsequenzen beginnt mit einer Reminiszenz an das alte Leipzig der Nachkriegszeit, als es manches markante Wahrzeichen dieser Stadt – in meist ramponiertem Zustand zwar – aber immerhin noch gab: etwa das alte Bildermuseum, (wo heute das neue Gewandhaus steht) und im Musikviertel die noch sichtbare Ruine des alten Gewandhauses, während sich an der Nordseite des Karl-Marx-Platzes schon die Kräne für den Wiederaufbau der Oper in Bewegung setzten.
„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit und neues Leben blüht aus den Ruinen“, heißt es in Schiller’s Tell.
Nur, was da an Altem hierzulande bald darauf mit Brachialgewalt noch zu Fall gebracht wurde, bedeutete für die meisten von uns unwiederbringlichen Verlust von hohem Kulturgut.

„Aber noch stand die alte Universität. Im Hörsaal 11 hörten wir Kunstgeschichte bei LADENDORF (später Ordinarius in Köln) und im legendären Hörsaal 40 las HANS MAYER. Beide wurden bald schon genötigt, das Land zu verlassen. Und 1968 ließ ULBRICHT die altehrwürdigen Gemäuer sprengen, in denen noch immer der Geist jener universitas litterarum spürbar war, sehr zum Leidwesen der Politbürokratie. – Kurz vor dem barbarischen Akt hatte ich noch Filmaufnahmen machen können, die in der folgenden Leipzig-Collage, für die ich nun um Ihre Aufmerksamkeit bitten darf, einen besonderen Akzent setzen.
Für technische Mängel und manch abrupten Schnitt bitte ich vorab um Absolution.“
(aus eine Rede des Autors zur Neugründung des Instituts für Kunstpädagogik im Dezember 1993, abgedruckt in TEXTE H.3 des genannten Instituts, Jan.1999 )

Die mit einer alten 8mm Kamera gedrehten Filmaufnahmen aus den 60er Jahren vermitteln atmosphärische Eindrücke vom Leipziger Stadtbild zwischen Hauptbahnhof und Karl-Marx-Platz mit Augusteum und Pauliner-Kirche. Aber nicht allein dieses einmalige schöne Bauensemble mit seiner so unvergeßlichen Silhouette interessierten mich damals, sondern auch die eiligen Menschenströme auf den Straßen, in den hohen Hallen dieses riesigen Bahnhofs, die unaufhörlich an mir vorbei quietschenden Straßenbahnzüge, die schweißgebadeten Gleisbauleute mit Hacken und Schaufeln und Wassereimern, die sie sich über den Kopf und die erhitzten Körper schütteten. Und all die Schinderei noch ohne jegliche Maschine !!
Und die Reinemachefrauen, wie sie mit Schrubbern und Scheuhadern den Fliesen im Hauptbahnhof zu Leibe rücken. Die uralten Taxen, aus denen das Öl tropft und die gähnende Leere an den armseligen Blumen- und Zeitungsständen. Und immer wieder diese Häuserruinen und Brandmauern visavis Haupt-Bahnhof und Hotel Astoria, davor ein schicker nagelneuer Tatra, sehr auffallend neben all den alten Kisten drüben an der Hauptkreuzung Ring-Gerberstraße.
Daß mir bei der Digitalisierung dieses Filmstreifens der alte Weimar III-Projektor einen Streich spielte und den Filmfluß zerhackte, veranlaßte mich, gewissermaßen in Erinnerung an die Zerstörung von Kirche und Augusteum diese Passage an den Schluß des ersten Teils der Leipzig-Collage zu setzen.

DIE KUGEL als zweites Filmdokument zeigt dann – mit gewollter gleicher Assoziation – Bilder vom Wüten der „Zeitzer Kugel“ beim Abriß des alten Gent-Antiquariat-Hauses in der Grimmaischen Straße gegenüber dem Uni-Campus, wo ja einst die ehrwürdige Pauliner Kirche stand, die schließlich dem Komplex mit dem UNI-Riesen weichen mußte.

Nach den beiden mehr experimentellen Filmarbeiten L.E.ON ICE und BILDSTÖRUNG möchte ich nur noch zu den letzen 3 Arbeiten etwas sagen:

POSSNER’S REICH Teil IV dokumentiert die bereits in Abrüstung befindliche Wirkungsstätte unseres alten Hausmeisters in der zur Sanierung freigegebenen Stallbaumstraße 11. Der zentrale Raum des Heizungskellers ist bereits geräumt, nur noch Stümpfe der imposanten Anlage ragen aus dem Boden.
In den vor Kohlenstaub und Dreck starrenden Gängen steht verloren eine Karre an der ehedem weiß getünchten Wand. Ein Lichtschalter hängt an herabgerissenem Kabel von der Decke. Leere Lattenregale werden gespenstisch vom Flackern einer defekten Neonröhre beleuchtet.
Eine Atemschutzmaske am Schaltkasten kündet vom Beginn der Sandstrahlarbeiten.

NAUNDÖRFCHEN – IN MEMORIAM widmet sich der Dokumentation des alten Umspannwerkes am Ort gleichen Namens und versucht, den Charakter dieses leider inzwischen verschwundenen schönen Industriedenkmals zu erfassen, der mich in seiner Dreigliedrigkeit stark an die Form einer romanischen Basilika mit ihrem Haupt- und zwei Nebenschiffen erinnerte. Deshalb kam mir in den Sinn. diesen für mich fast sakralen Charakter jenes Profanbaus mit einer entsprechenden Musik zu unterstreichen und dafür die Nelson-Messe von Joseph Haydn zu wählen.

CAMPUS ist der Titel des letzten Beitrags, der sich mit jenem inzwischen ebenfalls verschwundenen UNI-Areal befaßt. Diesen Komplex filmisch zu dokumentieren reizte mich vor allem aus folgendem Grund. Durch die eigenartige Tristesse seiner düsteren Bunkerarchitektur, in der man Menschen gewöhnlich nur als dunkle Schatten wahrnehmen konnte, ergab sich für mich ein innerer Zusammenhang mit einem zentralen künstlerischen Anliegen meiner frühen Jahre. Nämlich dieses wechselnde Licht- und Schatten-Spiel filmisch festzuhalten, wie es – und hier schließt sich der Kreis – schon in meinen alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen der 50er und 60er Jahre eine große Rolle spielte. Nur, daß ich jetzt versuchte, mit den mir zur Verfügung stehenden neuen technischen Mitteln, den Bewegungsablauf durch ein Art Pseudo slow motion zu verzögern, um dieses Wechselspiel auch dem geneigten Betrachter bewußter zu machen.
Dieser gedehnte Bewegungsablauf wird für meine Begriffe durch die entsprechende musikalische Untermalung noch spürbarer.

NFL – ODER DAS ENDE DER FLÄCHENDECKENDEN BEUYS-LANDSCHAFT als Titel des 2.Teils der DVD bedarf einer Erklärung, zu der ich aus einem von mir 1995 gehaltenen Vortrag an der UNI Leipzig zitieren darf: „Um nachvollziehen zu können, was ich meine, möchte ich Sie heute weniger in die Welt der Kunst, als vielmehr in die der Realität entführen, wie gesagt, aus einem mehr persönlichen Beweggrund und Blickwinkel, der gewiß nicht jedermanns Sache ist:
Das Morbide, Desolate, Schäbige, Graue dieser maroden Landschaft im Osten, Neufünfland – nichts anderes heißt das Kürzel NFL – hatte mich schon immer interessiert. Aber als ich 1990 nach einem kurzen U.S.A. – Aufenthalt in Chicago wieder in Leipzig eintraf, erlebte ich dieses Land intensiver als je zuvor in seiner Schlichtheit, in seiner Brüchigkeit, in seiner „Ästhetik des Verfalls“, auch eben in seiner Würde des Altseins. Und gelegentlich einer sich polemisch zuspitzenden Diskussionsrunde mit westdeutschen Kollegen von der Uni Braunschweig (Prof. Stielow u.a.), dachte und sagte ich schlagartig „flächendeckende Beuys – Landschaft“.
Seither wandelt sich das äußere Bild vehement und stetig: überzogen mit Plastefolien und Netzwerk á la Christo, durchsetzt mit allerlei Blendkram und grellbuntem Werbekitsch á la Jeff Koons, schwindet immer mehr vom malerischen Unisono altehrwürdiger Gemäuer und bröckelnder Fassaden, in denen Sie die ganze Moderne wiederfinden können: die Ecole de Paris, wie den abstrakten Expressionismus der Amerikaner, bis hin zu den combine – paintings der Popart und zur post – painterly abstraction, der Farbfeldmalerei.
Doch der spröde Charme von NFL ist bald passé. Bald wird alles aussehen, als sei es eben erst der chemischen Reinigung anheim gefallen: der Blick auf die Altbundesländer zeigt, wohin die Reise geht: Alles clean, steril, keimfrei. Selbst Natur mit Wald und Flur – alles besenrein! Seit jenem Schlüsselerlebnis Chicago werde ich nicht müde, diese Relikte der alten Welt und das rapide sich Wandelnde mit Foto – und Filmkamera festzuhalten. Und ich finde, all das ist für mich im Moment spannender, aufregender, beeindruckender als alles, was man in der ausufernd exzessiven Kunstlandschaft unserer Tage vorfindet.
Es ist vermutlich die Authentizität des real Sichtbaren (Oscar Wilde läßt grüßen: „Das wirkliche Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare!“), das mich – im Wissen um seine Vergänglichkeit, seine Unwiederholbarkeit und im Gegensatz zu Cyberspace (William Gibson) und Virtual Reality – so außerordentlich fasziniert.“